Steht ein Sensor im Wald

Klimawandel und Umweltverschmutzung gefährden die Artenvielfalt und die Ökosysteme der Welt. Wer aber die Natur wirklich schützen will, muss sie auch bis ins kleinste Detail verstehen lernen: Forscher der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Universität Darmstadt entwickeln im LOEWE-Schwerpunkt Natur 4.0 spezielle Sensornetzwerke für eine flächendeckende Beobachtung unserer Ökosysteme – das lässt neuartige Prognosen und abgeleitete Handlungsempfehlungen für den Naturschutz zu.

Unsere Umwelt ist durch Klimaerwärmung und zunehmende Verschmutzung bedroht. Dadurch befinden sich Arten sowie ganze Ökosysteme in Gefahr. Die Natur selbst ist ein großes, sehr komplexes Netzwerk: Wenn beispielsweise eine Frucht nicht mehr wächst, hat ein bestimmtes Insekt keine Nahrungsquelle mehr, das wiederum als Futter für einen Vogel dient. Diese vielschichtigen Abhängigkeiten gilt es zu verstehen.

Wissenschaftler der Philipps-Universität Marburg und der TU Darmstadt forschen an neuen Methoden, unsere Umwelt besser zu verstehen und zu schützen. Grundgedanke ist dabei, dass nur geschützt werden kann, was bekannt ist. Um möglichst viele Informationen über die Umwelt zu erhalten, werden bereits existierende Datenerfassungsmethoden mit neuen kombiniert: Vernetzte, flexible Umweltsensorboxen und eine zentrale Datenplattform liefern so detaillierte Informationen wie noch nie.

Noch genauer mit Umweltsensorboxen

Statische Sensorbox mit Kamera, Mikrofon und drahtloser Netzanbindung. Foto: T. Lenz

Dafür wurden modulare Sensorboxen entwickelt, die einiges im Kasten haben: Per GPS den Standort erfassen, mit einem Gyrometer Mikrobewegungsmuster messen und so Bewegungsprofile erstellen. Ebenso werden Lichtintensität, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Geräusche und Bildmaterial aufgezeichnet. Sogar Radar wird eingesetzt, damit auch kleinste Lebewesen wie Insekten erfasst werden. Die aufgezeichneten Daten können bereits im Sensornetzwerk kombiniert und verarbeitet werden. Wichtig ist immer, welche Daten in welchem Format relevant sind: Um zum Beispiel nicht ein Audiosignal mit großer Datenmenge übertragen zu müssen, kann ein Algorithmus bereits Art und Anzahl der darauf zu hörenden Tiere in eine Textdatei umwandeln. Das spart Speicherplatz und Strom bei der Übertragung.

Die verwendeten Sensorboxen sind sehr unterschiedlich. Es gibt statische Boxen an und auf Bäumen, für die Erfassung und Verarbeitung von komplexen Messdaten. Aber auch sehr kleine Boxen, die leicht auf dem Rücken von Fledermäusen oder Vögeln platziert werden können, um deren Bewegungsmuster zu erfassen. Für eine zuverlässige Kommunikation zwischen den Boxen werden unterschiedliche Funktechnologien mit verschiedenen Reichweiten und Bandbreiten genutzt – immer angepasst an den jeweiligen Einsatzzweck und die zur Verfügung stehenden Energieressourcen.

Wissenschaftler und Bürger gemeinsam

Das Projekt wird nicht nur von Wissenschaftlern durchgeführt. Auch die Bürger vor Ort sind dabei und machen „Citizen Science“. Zum Beispiel können Schülerklassen das Waldstück besuchen und durch zum Himmel gerichtete Fotoaufnahmen den Blattgrünanteil erfassen. Über die Projektlaufzeit ist eine Vielzahl an Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger in Planung.

Viele der Daten unterscheiden sich dabei von herkömmlich verwendeten Fernerkundungsinformationen wie Satellitenbildaufnahmen, da sie in unmittelbarer Nähe zum jeweils beobachteten Objekt sind. So können auch unterhalb einer eventuell behindernden Wolken- oder Kronenschicht Bilder aufgenommen werden. Die Kommunikation und Datenweitergabe erfolgt über ein autarkes Funknetzwerk. Die über die Zeit erreichte, detaillierte Erfassung von Umweltvariablen erzeugt einen bisher nicht erreichten Detailgrad bei der flächendeckenden Abbildung von Ökosystemen.

Patrick Lieser und Julian Zobel bei der Kontrolle der Messdaten. Foto: T. Lenz

Bisher nicht vorhandene Prognosen möglich

Im Rahmen von Natur 4.0 werden neue, digitale Methoden entwickelt, um Daten zu sammeln, auszuwerten und Prognosen abzuleiten. Daten werden, unabhängig von Ort und Art der Sensoren, erhoben und energieeffizient übertragen. Damit sollen die bevorzugten Lebensräume von Arten bestimmt und analysiert werden. So können mit ausreichend Daten auch Vorhersagen über diese Lebensräume getroffen und Frühwarnindikatoren für Veränderungen erstellt werden. Der daraus resultierende positive Einfluss auf die Umwelt führt zu einer Verbesserung der Lebenssituationen von Menschen und Tieren.