Mobile Endgeräte als Retter in der Not

Katastrophen wie in Fukushima oder Nepal sorgen für anschließende Ausnahmezustände. In der Bevölkerung herrscht Panik, Angst, Trauer, Wut. Es gibt viele Verletzte, die dringend Hilfe benötigen. Auch in Deutschlands dicht besiedelten Regionen wie im Großraum Frankfurt könnte beispielsweise ein flächendeckender Stromausfall in Chaos resultieren, wenn die Kommunikationsnetze ausfallen und Menschen sich nicht mehr koordinieren können.

Wenn die Netze zusammenbrechen: Kommunikation in Krisengebieten

Um im Anschluss an eine Katastrophe weiteres Unheil zu verhindern, ist schnelle Hilfe und Organisation nötig. Dafür ist es essenziell, dass die Kommunikation zwischen Menschen funktioniert und in jeder Situation gewährleistet wird. Nur so können sie sich untereinander verständigen und helfen aber auch Hilfe von außen veranlassen.  Im LOEWE-Forschungsprojekt NICER (Networked Infrastructureless Cooperation for Emergency Response) suchen wir gemeinsam mit Kollegen der TU Darmstadt sowie Wissenschaftlern an den Universitäten Kassel und Marburg eine Antwort auf die Frage, wie man bei großflächigen Katastrophen wie Erdbeben, Tsunamis oder Energieausfällen eine stabile Infrastruktur für Kommunikation und damit auch Organisation bereitstellen kann. Das Projekt wird über drei Jahre mit insgesamt 4,5 Millionen Euro durch das hessische Forschungsförderprogramm LOEWE unterstützt.

Im Notfall in drei Schritten zur Ersatzinfrastruktur

Der Notfallplan für die Netzinfrastruktur sieht wie folgt aus:

Zuerst werden Kommunikationsinseln erstellt. Diese Inseln bestehen aus sogenannten Cyber-Physikalischen-Hilfssystemen, die untereinander kommunizieren. Mit diesem komplexen Begriff sind in erster Linie die Geräte gemeint, die als Kommunikationsmodule fungieren können. Besonders gut geeignet sind mobile Netzknoten, Roboterplattformen oder Rettungssysteme, da diese weit verbreitet sind und mit vielen verschiedenen Technologien für die Datenübertragung ausgestattet sind wie Bluetooth, WLAN oder ein LTE-Modul. Zusätzlich sind häufig Sensoren wie GPS verbaut, mit denen wichtige Zusatzinformationen übermittelt werden können, beispielsweise den Standort einer verletzten Person. Sogar Haushaltsgeräte mit eingebauten Kommunikationsmodulen könnten als Netzwerkknoten dazu beitragen eine Ersatzinfrastruktur aufzubauen, um Daten weiterzuleiten.

Im nächsten Schritt müssen diese Kommunikationsinseln miteinander verbunden werden. Das geschieht über sogenannte Kommunikationsbrücken. Der Fokus liegt darauf, Kommunikation trotz sehr heterogenen und sich ändernden Rahmenbedingungen zu ermöglichen, um beispielsweise ein Steuernetz für Roboter erstellen zu können. An den Kommunikationsbrücken muss daher auch entschieden werden, welche Daten für den Austausch sinnvoll sind. So kann aus den verbliebenen „Restgeräten“ relativ schnell eine Ersatzinfrastruktur gebaut werden, falls im Katastrophenfall die eigentliche Kommunikationsinfrastruktur ausfällt. Unser Grundprinzip dabei lautet: Nutze das, was noch da ist, nutze das, was noch irgendwie helfen kann und mobilisiere dabei alle Kräfte.

Im dritten Schritt muss diese Infrastruktur auch in Betrieb genommen werden. Ein Netz ist nur dann gut, wenn darin auch Dienste und Anwendungen verlässlich funktionieren. Diese können eingesetzt werden, um Informationen zu speichern und die Kommunikation wiederherzustellen. So können Menschen sich in einer akuten Notfallsituation koordinieren. Ebenso können inselübergreifende Lagebilder und Karten erfasst werden, welche für die externen Helfer nützlich sind.

Flexibilität und Kontext sind Trumpf

Die besondere Herausforderung dieser drei Schritte liegt in der Heterogenität der vielen Kommunikationsprotokolle und Devices, die diese Ersatzinfrastruktur gemeinsam aufrechterhalten sollen. Hinzu kommt, dass keine Katastrophe wie die andere ist. Es ist kaum vorhersehbar, wie stark die gesamte Infrastruktur (bspw. Gebäude, Stromversorgung, Rettungskräfte im Katastrophengebiet) beschädigt wurde und auf welche Ressourcen man überhaupt zurückgreifen kann. Es gilt also möglichst flexible Konzepte zu entwickeln, mit denen diese Heterogenität zu bewältigen ist, damit die Kommunikationsinseln und –brücken überhaupt erstellt werden können.

Ein weiteres entscheidender Punkt ist die Kontexterkennung, um herauszufinden, welche Daten in welcher Situation, in welchem Umfang und in welcher Frequenz überhaupt gesendet werden müssen. Kommunikation und Dienste sollen sich automatisch an die Umgebungsbedingungen anpassen. Das ist beispielsweise wichtig für die Energieeffizienz der Ersatzinfrastruktur. Nach einer größeren Katastrophe ist Energie eine knappe Ressource. Wenn beispielsweise Smartphones nicht mehr am Stromnetz geladen werden können, muss die verbliebene Energie im Akku maximal effizient eingesetzt werden. Und umso mehr Daten gesendet werden, desto höher ist auch der Energieverbrauch. Daher brauchen wir im Notfall ein intelligentes System, das Kontext erkennt und versteht, in welcher Situation viel Energie aufgewendet werden muss, um überlebenswichtige Informationen zu übermitteln und wann Energie gespart werden kann.

Um aus unseren Konzepten langfristig Nutzen zu ziehen, wird während der Projektlaufzeit ein Emergency Response Lab aufgebaut. Dort werden die erarbeiteten Konzepte kontinuierlich validiert und auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. Außerdem werden die Forschungsergebnisse über das TTN Hessen (Technologie Transfer Netzwerk) auch der Industrie zur Verfügung gestellt.