„In Zukunft werden Kommunikationssysteme immer stärker aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden“

Dr. Boris Koldehofe ist Principal Investigator am Sonderforschungsbereich MAKI. Er hat uns im Interview erklärt, wie Daten in Verteilten Systemen effizienter verarbeitet werden und warum die Anwesenheit der Kommunikationssysteme zukünftig aus dem Bewusstsein der Nutzerinnen und Nutzer verschwinden wird.

Herr Koldehofe, bei Ihnen hat sich die Liebe zur Logik schon weit vor dem Studium angekündigt. Was waren Ihre Lieblingsfächer zu Schulzeiten?

„Das ist wenig überraschend: Mathematik und Physik. Spannend fand ich vor allem, wie man Probleme durch Logik und eine mathematische Beweisführung lösen kann. Ich mochte auch schon früh Strategiespiele wie Schach.“

Jetzt sind Sie in der Informatik gelandet. Gibt’s da eine biographische Brücke?

„Ja, denn auch da ist die Motivation zu verstehen, welche Algorithmen für welche Probleme geeignet sind. Die Informatik bietet umfangreiche Methoden und Werkzeuge, Probleme zu lösen, diese Lösungen logisch nachzuvollziehen und zu simulieren.“

Wie kamen Sie dann konkret zur Forschung?

„Noch während des Studiums. Zentral durch Prof. Philippas Tsigas, Betreuer meiner Diplomarbeit und späteren Promotion. Aufgrund der Zusammenarbeit mit ihm hatte ich mich damals für ein Promotionsstipendium an der Chalmers University of Technology in Schweden beworben, wurde genommen und habe dort auch promoviert.“

Mit welchen fachlichen Inhalten beschäftigen Sie sich zur Zeit?

„Eigentlich befasse ich mich schon seit langem mit der Adaptivität in Kommunikationssystemen und Verteilten Systemen. Derzeit widmen wir uns bei MAKI vertieft der Adaptivität in softwaredefinierten Kommunikationssystemen und deren Nutzung zur Realisierung adaptiver Kommunikationsdienste. Ein Beispiel ist die Analyse von und der effiziente Zugriff auf inhärent verteilte Informationen durch Kommunikationsparadigmen wie Publish/Subscribe oder Complex Event Processing.“

Jetzt muss ich nachhaken: Was kann ich mir unter „inhärent verteilten Informationen“ vorstellen?

„Inhärente Verteilung von Informationen heißt, dass es quasi zur „Natur“ des jeweiligen Systems gehört, dass die Informationen in ihm verteilt sind. Aus der Problemstellung selbst ergibt sich eine lokale Verteilung von Informationen, Aufgaben und deren Lösung. Teilsysteme, die problembezogen vor Ort sind, lösen ihre Probleme auch vor Ort. Diese relativ autonomen Teilsysteme müssen koordiniert werden und flexibel zusammenarbeiten. Das Verständnis dezentral arbeitender Kommunikationssysteme ist mittlerweile Grundlage in vielen Anwendungsgebieten wie dem Internet der Dinge oder Big Data. Ziele sind dabei unter anderem die Zuverlässigkeit und Privatsphäre bei der Datenverarbeitung.“

Haben Sie ein Beispiel?

„Ja, denn dazu forschen wir auch konkret bei MAKI. Ich erkläre das mal am Beispiel des Smartphones: Dort liegen nutzerspezifische Daten und von Sensoren erfasste Informationen wie das GPS-Signal zunächst lokal vor. Eine sinnvolle Analyse und Verarbeitung von Informationen ist aber oftmals nur durch eine Korrelation mit Daten anderer Nutzer, Geräten oder Diensten möglich. Dennoch lassen sich durch eine teilweise lokale Verarbeitung schon wichtige Aspekte wie Übertragungskapazitäten, Energieverbrauch und sogar die Privatsphäre verbessern. Wo lokale Ressourcen nicht ausreichen, können entferntere Ressourcen, beispielsweise in einem Datenzentrum – oder modern: die Cloud – genutzt werden. Interessanterweise lassen sich diese Dinge gerade mit dem Paradigma softwaredefinierter Netze auch direkt im Netz realisieren und verbessern so noch weiter Ressourcennutzung und Übertragungszeiten.“

Das klingt plausibel. Wo liegen die größten Herausforderungen?

„Bei der Nutzung von flexiblen Kommunikationsdiensten können eine Vielzahl von Mechanismen, wie zum Beispiel unterschiedliche Übertragungstechnologien genutzt werden. Bei hoher Dynamik ist ein einziger Mechanismus unzureichend, um Aspekte wie Dienstgüte oder Privatsphäre sicherzustellen. Dazu erforschen wir konkret Verfahren, um das intelligente Umschalten von einem Mechanismus auf einen anderen möglich zu machen. Dieses Konzept nennen wir Transition und man kann es sogar auf Wikipedia nachlesen.“

Wenn Sie das große Ganze dieser Konzepte in den Blick nehmen, welche Forschungsfragen stellen sich für die zukünftige Arbeit?

„Wir brauchen einerseits geeignete Programmiermodelle, um die Funktionalität einer solchen Infrastruktur zu nutzen. Andererseits müssen wir verstehen, welche Eigenschaften der Netze für die Realisierung bestimmter Funktionen geeignet sind. Dahinter steht der Anspruch, höhere Effizienzgewinne, weniger Verzögerung und eine  bessere Energienutzung zu erzielen; beispielsweise im Kontext des zuvor erwähnten Publish/Subscribe Paradigmas – ein Paradigma zur Verteilung von Informationen. Dort können wir über programmierbare Kommunikationsmechanismen diese Funktionalität in das Netz verlagern und somit Verzögerungen zwischen den Geräten im Nanosekundenbereich erzielen.“

Das klingt für mich durchaus visionär…

„Ist es auch. In Zukunft werden Kommunikationssysteme immer stärker aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden, weil sie sich intelligent an bestehende und neue Anforderungen der Anwendungen und Nutzer anpassen. Techniken wie die Transition bei MAKI in Kombination mit evolutionären  Kommunikationsmechanismen können dazu einen erheblichen Beitrag leisten.“