Dynamisches Management von Ethernet in der Industrie 4.0

Für die zeitkritische Kommunikation in Fertigungshallen und Fabriken gewinnt Ethernet an Bedeutung. Bisher war es schwierig, Roboter und Maschinen im laufenden Betrieb in Produktionsnetzwerke zu integrieren. Dieser Herausforderung stellte sich das MAKI Transferprojekt T3, welches nun erfolgreich abgeschlossen wurde. Projektmitarbeiter Christoph Gärtner vom Fachgebiet Multimedia Kommunikation im Interview.

Der Sonderforschungsbereich MAKI („Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet“) hat das dreijährige Transferprojekt T3 erfolgreich abgeschlossen. Um was ging es in diesem Projekt?

Christoph Gärtner: Das war ein Transferprojekt zusammen mit Bosch Corporate Research in Renningen. Es ging darum, die MAKI-Konzepte – beispielsweise die Transition von Mechanismen zur Laufzeit – auf Time-Sensitive Networking (TSN) zu übertragen. Vor allem für Anwendungsfälle in der industriellen Produktion gibt es hier großen Bedarf.

Was versteht man denn unter Time-Sensitive Networking?

Christoph Gärtner: TSN fasst verschiedene Konzepte zusammen, die dafür sorgen, dass in einem Kommunikationsnetz gewisse Garantien, zum Beispiel für die Verbindungsqualität oder die Latenzzeit, gegeben werden. Im Speziellen betrifft dies den Kommunikationsstandard Ethernet. Ethernet läuft über ein verkabeltes Netz und ist weit verbreitet. Nun möchte auch die Industrie Ethernet immer mehr für sich nutzen. Aktuell gibt es in Fabriken und Produktionshallen normalerweise noch proprietäre Kommunikationstechnologien von unterschiedlichen Herstellern, die allerdings nicht miteinander kompatibel sind. Unsere Forschung ermöglicht hingegen, mit Ethernet ein flexibel einsetzbares Kommunikationsnetz in einer Fabrikhalle aufzubauen. 

Inwiefern ist Time-Sensitive Networking für die Industrie relevant?

Christoph Gärtner: Die Industrie hat sehr spezielle Anforderungen an Kommunikationsnetze. Je nach Anwendung müssen unterschiedliche Anforderungen an die Kommunikation eingehalten werden. Wenn man in einem industriellen Netz beispielsweise Roboter oder Maschinen fernsteuert, muss das möglichst in Echtzeit passieren, das heißt, mit Garantien für die maximale Zeitdauer, innerhalb derer ein Roboter einen Befehl erhalten haben muss. Geschieht dies nicht, kann es zu Problemen im Produktionsbetrieb oder  zu einer Abschaltung des Gesamtsystems kommen, um Schlimmeres wie einen Unfall zu verhindern.

Was genau habt ihr euch im Kontext von MAKI angeschaut?

Christoph Gärtner: Aktuell ist TSN noch sehr unflexibel, wenn ich das Kommunikationsnetz im laufenden Betrieb neu konfigurieren möchte. Will ich zum Beispiel einen neuen Roboter ans Netz anschließen, dann muss ich alles abschalten, den Roboter anschließen, und dann alle anderen Maschinen wieder neu starten. Der Grund ist, dass sich die Zeitfenster für den Datenaustausch verschieben können: TSN garantiert Kommunikation in der strengsten Variante mittels vordefinierter Zeitfenster, in denen die Datenleitungen für die Kommunikation zwischen bestimmten Maschinen reserviert werden. Zum Beispiel gibt es dann ein Zeitfenster für Roboter X und Y um 11 Uhr, das nächste ein paar Millisekunden später, und so weiter. Im MAKI-Projekt T3 haben wir daran gearbeitet, die bestehenden Zeitgarantien auch bei Änderungen am Netz im laufenden Betrieb durch vorausschauende Adaption der Zeitfenster sicherstellen zu können. Damit wird eine erhöhte Flexibilität von TSN in Ethernet-Netzen erreicht. 

Wie sorgt ihr für eine höhere Flexibilität von TSN in Ethernet-Netzen?

Christoph Gärtner: Wir haben zwei Ansätze verfolgt, die aufeinander aufbauen. Zuerst haben wir eine Metrik entwickelt, um überhaupt ausdrücken zu können, wie flexibel eine Konfiguration für ein beliebiges Netz ist. Für uns war es wichtig zu verstehen, wie der Status Quo ist. Diese Metrik, die wir Flexcurve genannt haben, gibt uns ein Werkzeug, mit dem wir das Vorher und Nachher eines Netzes auf dessen Flexibilität hin vergleichen können. Das war nicht so einfach, denn durch die vielen verschiedenen Anwendungs-Anforderungen wie Kommunikationsvolumen, Frequenz oder Zustellfrist wird die Metrik sehr schnell komplex und langsam zu berechnen. 

Im zweiten Schritt wurde dann mit Hilfe der Metrik nach weiteren Optimierungsmöglichkeiten gesucht. Die Metrik kann unter anderem dabei helfen, zu entscheiden, welche Zeitfenster am besten geeignet sind oder welche Pfade die Kommunikation einschlagen sollte – immer unter Berücksichtigung zukünftiger Anpassbarkeit. So könnten wir zum Beispiel auch im laufenden Betrieb einen Roboter in die Fabrik neu integrieren.

Inwiefern kann die Industrie von euren Forschungsergebnissen profitieren?

Christoph Gärtner: Im Idealfall muss man zur Wartung oder Erweiterung von Fabriknetzwerken künftig keine Maschinen mehr abschalten, die nicht betroffen sind, sofern das sicherheits- und betriebstechnisch möglich ist. Weitere Anwendungsfälle sind noch dynamischer: Mobile Roboter können direkt angeschlossen und automatisch integriert werden, um kurzfristige Lastspitzen abzufedern. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Welches Interesse hattet ihr und Bosch Research an einer Kooperation?

Christoph Gärtner: Vor allem der Flexibilitätsaspekt hat uns beide interessiert – für uns war die wissenschaftliche Sicht interessant, für Bosch die potenzielle Anwendung unserer Forschung. Konkret haben wir mehrere Paper zusammen veröffentlicht, in denen die Flexcurve immer weiter verfeinert wurde. Die vielen potenziellen Anwendungen, die sich aus unserer Forschung ergeben haben, möchten wir zusammen mit Bosch künftig gerne weiter verfolgen.

Vielen Dank für das Interview!


Info: Der Sonderforschungsbereich MAKI – Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet:

Die Wissenschaftler*innen vom Sonderforschungsbereich MAKI (darunter viele Forschende vom Fachgebiet Multimedia Kommunikation) arbeiten daran, dass die bestehenden Infrastrukturen des Internets besser – und zukunftstauglicher – genutzt und weiterentwickelt werden. Sie untersuchen Kommunikationssysteme, um Mechanismen effizient zu kombinieren und nutzen dazu die Technologie der Transition.